Wenn ich User Experience höre, denke ich – bis heute – zuerst an den Mainstream-Endkunden, den Everybody im Internet. In den letzten sieben Jahren habe ich jedoch überraschend oft an Produkten gearbeitet, deren Nutzer*innengruppe sehr viel kleiner und spezifischer war: B2B Plattformen.
Ich mochte meine B2B Projekte sehr. Jedes Mal durfte ich eine neue Welt kennenlernen, zu der ich abseits des Jobs keinen Zugang gehabt hätte. Gleichzeitig habe ich gelernt, dass B2B Design anfälliger für Fehler ist. Einige davon habe ich selbst gemacht, andere musste ich beobachten.
Fehler 1: Konzept, Design und Umsetzung vor Research
Ich plaudere jetzt ein bekanntes Geheimnis aus: in vielen Umfeldern, in denen Designer*innen arbeiten, ist User Testing zwar ein beliebter Begriff, aber am Ende eher Utopie als Praxis. Damit kommen wir oft durch. Auf Basis von Desk Research, Benchmarking, UX-Fachwissen und “Common Sense” kann man durchaus solide Produkte gestalten. Die Annahmen, die wir für eine allgemeine Zielgruppe machen, hauen oft hin. Wenn wir uns nicht sicher sind, haben wir Menschen um uns, die wir nach ihrer Meinung fragen können. Jede*r hat eine Vorstellung davon, wie ein guter Onlineshop aussieht. Für B2B Tools, die Nutzer*innen in ihrem Arbeitsalltag unterstützen sollen, halten solche Common Sense Annahmen aber oft nicht.
Trotzdem auf Basis von Vermutungen zu arbeiten, kann gut gehen. Ich habe schon in Usability-Tests nebenbei die Produktakzeptanz abgefragt, von der man bisher einfach mal ausgegangen war. Tatsächlich hatten die Anwender*innen dann auch Lust auf das neue Tool. Der vermutete Mehrwert war gegeben. Ein blödes Gefühl war es trotzdem, diese Frage zu stellen, nachdem das Design komplett fertig und die Entwicklung bereits gestartet war.
In anderen Fällen entstanden durch diese Arbeitsweise unnötige Fehler: dass ein Werkstattbetreiber ein Fahrzeugteil oder einen Service nie nach Kategorie sucht, sondern immer zuerst durch die Eingabe der individuellen Fahrzeugnummer, ist ein Detail, das man auch im “fertig” gestalteten Interface noch schnell umdrehen kann. Besser wäre es trotzdem gewesen, vorab mit der Zielgruppe zu sprechen – am besten in ausführlichen Interviews. Vielleicht wären dann noch ganz andere Produktideen entstanden, die den Arbeitsalltag in Werkstätten auf eine unerwartete Art erleichtern.
Fehler 2: Zu viele Dienstleister, zu wenige Absprachen
Ein Projekt aus meiner Agenturzeit ist mir als besonders skurril im Gedächtnis geblieben: Zwei Agenturen waren von einem großen Kunden für das Design einer B2B Plattform beauftragt: eine fürs Konzept, eine für Design und Umsetzung. Konzept kam als zweites an Bord. What could possibly go wrong?
UX & UI funktionieren nur als Team. Wie sollen sie konstruktiv zusammenarbeiten, wenn ihr Arbeitgeber jeweils um den Etat kämpft? Erst recht, wenn UI durch eine frühere Projektbeteiligung im Lead ist, und man für eine geschlossene B2B Plattform kaum Desk Research machen kann.
Das Produkt war zum Konzeptstart schon halb „fertig“, die Absprachen mit dem Kunden waren nicht mehr zu rekonstruieren, die User Needs wurden ohne Beteiligung von UX Designern oder Strategen definiert. Die Lösung war im Prinzip schon vorgegeben.
In einer perfekten Welt arbeitet ein interdisziplinär aufgestelltes Projektteam konstant gemeinsam an einem Produkt, dessen Ausrichtung klar definiert ist. UX&UI sind eine Einheit aus idealerweise 2+ Personen, die diese Ausrichtung mit Strategen und / oder Researchern prüfen und Kunden darin beraten, Business Goals und User Needs zusammenzubringen.
Fehler 3: Wechselnde Designer*innen bei fehlender Dokumentation
Das klassische “Lastenheft” passt selten in agile Projektstrukturen, und wenn dann nur am Ende großer Entwicklungszyklen. Dennoch bin ich Fan von umfassender, begleitender Dokumentation, besonders bei fachlich komplexen Projekten. Das Spezialwissen in B2B Projekten führt manchmal zu Entscheidungen, die für den nächsten Designer — und diesen Designer wird es geben, auch in Festanstellungen — nicht mehr nachvollziehbar sind oder schlicht falsch aussehen.
Um unnötige Schleifen und Fehler zu vermeiden, müssen mehr als nur die Funktionsbeschreibung und die Design Deliverables übergeben werden: Auch Design-Überlegungen und Entscheidungen sollten es aus dem Sketch oder Figma – Dokument schaffen. (Wobei die Notizen auf dem Canvas eine durchaus pragmatische Zwischenlösung sind.)
Damit dieser Artikel nicht komplett unsympathisch wird, fasse ich mich hier zum Schluss an die eigene Nase: dass Konzepte dokumentiert werden, liegt in der Verantwortung der UX Designerin – auch bei Zeitmangel. Natürlich entsteht ein gewisser Domino Effekt, wenn man selbst hauptsächlich mündlich an Bord geholt wurde und aus Projektgründen vor allem halbfertige Designs vor sich hat. Diesen Effekt zu überwinden, hätte ich allerdings gerne während meiner Anstellung geschafft. Dann müsste ich nicht jetzt auf den letzten Metern mit den Armen rudern, um für meine Übergabe alles zu meiner Zufriedenheit aufzubereiten. Ganz sicher hätte ich auch unseren Entwicklern das eine oder andere Hin und Her ersparen können.
Mal sehen, was ich nun zum Schluss daraus mache. In jedem Fall freue ich mich schon auf die nächsten B2B-Projekte.
S.