Auf die Straße! Für wen sich Guerilla Testing wirklich lohnt

Ich gebe es zu: der Titel ist Clickbait. Nutzer*innen auf der Straße zu befragen, lohnt sich letztendlich fast immer. Guerilla Testing was my first love, und seither bin ich süchtig nach User Tests.

Was ist Guerilla Testing?

Der Guerilla Test ist ein kurzfristig angelegter, an einem Tag durchgeführter User Test auf der Straße mit wenigen, ad hoc ausgewählten Test-Usern. Gelernt habe ich die Methode bei SinnerSchrader, wo wir das Testing für eine Mobility as a Service (MaaS) Plattform im Produkt-Team selbst übernahmen. So kamen wir zu Erkenntnissen, die uns nicht nur intern bei Design-Entscheidungen halfen, sondern auch die Argumentation vor dem Kunden stützen konnten.

Was kann Guerilla Testing?

Der User Test auf der Straße ist wie gemacht für Projekte, in denen kein Testing-Budget eingeplant ist. Guerilla Testing ist eine sichere Methode, um schnell und günstig valide Ergebnisse zu erzielen – dort, wo die Zielgruppe ist. Im Fall einer Mobility-App ist das praktischerweise überall. Wir testeten an einem gut angebundenen Bahnhof und in einer zentral gelegenen Einkaufspassage, und fanden an beiden Orten freiwillige Teilnehmer*innen.

Es braucht also: Einen Prototypen, eine Interviewerin, eine Beobachterin, eine klare Fragestellung und ein Klemmbrett (oder ein weniger auffälliges Medium für Notizen, wenn man den Leuten keine Angst machen will). Im Idealfall gehen die Testenden als Student*innen durch, weil Menschen erfahrungsgemäß lieber bei Uniprojekten helfen als bei unternehmerischen. Der Prototyp ist zumindest teilweise klickbar und muss je nach Projekt anonymisiert werden.

Um Ergebnisse belastbar zu machen, braucht es auch für schnelle Tests ein sauber aufgesetztes Interview und mindestens sechs individuelle Teilnehmer*innen pro Runde. Damit wird Konsistenz gewährleistet und eine mögliche Beeinflussung durch Einzelmeinungen ausgeschlossen. Bei der Auswahl der Testpersonen achteten wir zusätzlich darauf, verschiedene Altersgruppen und Geschlechter zu inkludieren. Wir vermerkten auch, wie technikaffin sich eine Person im Test zeigte, um auch hier verschiedene Bedürfnisse abzudecken.

Alles in allem kostete uns die Erstellung des Interviewleitfadens circa zwei Stunden, die Durchführung weitere zwei und die Auswertung inklusive Präsentation etwa vier. Das ist ein Arbeitstag für zwei Personen pro Testrunde. Mit zwei Runden kamen wir von einer neuen Design-Idee zu einer Iteration des Homescreens, die für alle funktionierte und die letztendlich umgesetzt wurde. Zweifel von Kundenseite und innerhalb des Teams wurden ausgeräumt.

Was kann Guerilla Testing nicht?

Guerilla Tests eignen sich am besten für allgemeingültige Usability-Tests und Produktfragen, die eine breite Zielgruppe ansprechen und sich innerhalb von fünf Minuten beantworten lassen. Sie eignen sich nicht für Plattformen mit extrem spezialisierten Zielgruppen, für reine Desktop-Anwendungen oder zum Überprüfen von langen oder komplexen User Journeys. Die Aufgaben sollten lösbar sein, ohne sich in ein völlig unbekanntes Thema hineinzudenken, und nicht mehr als ein paar Minuten Zeit beanspruchen.

Vergleich Guerilla Test vs. konventioneller Usability Test: Aufwand im Verhältnis zur Produkt-Komplexität

Gleichzeitig ist ein Test immer besser als gar kein Test, und wenn es keine Option für ein ausführliches Interview mit der tatsächlichen Zielgruppe gibt, finden sich stattdessen vielleicht kreative Ideen, zumindest Ausschnitte wichtiger User Flows zu testen. Wie viele Ergebnisse muss man diese dann mit einem grain of salt nehmen – eine fachfremde Perspektive kann gleichzeitig immer wertvoll sein.

Für wen ist Guerilla Testing?

Was ich an der Methode liebe, ist, dass sie praktisch für jede*n zugänglich ist – auch für Solo-Designer*innen oder Fachfremde weit abseits von großen Agenturen.

Auf dem Z2X Festival der ZEIT, einer Konferenz für junge engagierte Menschen, habe ich das Guerilla Testing in einem zweistündigen Workshop vorgestellt und Journalistinnen sowie Social Entrepreneurs dabei begleitet, wie sie ihre aktuellen Ideen mithilfe von zwei Fragen an Passant*innen pitchten, und plötzlich übers große Ganze ins Gespräch kamen. Selbst ohne einen Prototypen oder das, was wir uns als Designer*innen unter einem sauberen Test vorstellen, kamen so neue Erkenntnisse zustande.

Was ich von User Tests immer wieder lerne, ist, dass Menschen ihre Perspektiven, ihre alltäglichen Herausforderungen und ihre Ideen für eine bessere (digitale) Welt gerne teilen, wenn man sie danach fragt. Ich finde, das sollten wir so oft wie möglich tun.

S.